Wenn du einer tauben Person begegnest, ohne Gebärdensprache zu beherrschen – wie stellst du eine wirksame Kommunikation sicher? In der Regel übersetzt eine hörende gebärdensprachlich dolmetschende Person gesprochene Sprache in Gebärdensprache und umgekehrt. In den meisten Situationen wird eine solche dolmetschende Person engagiert, um das Gespräch zu ermöglichen. In bestimmten Fällen ist jedoch eine zusätzliche Kommunikationsbrücke erforderlich – nämlich eine taube dolmetschende Person. Das kann notwendig sein, wenn die taube Person aus einem anderen gebärdensprachlichen Hintergrund kommt, etwa als geflüchtete oder migrierte Person; wenn sie nur eingeschränkten Zugang zu Bildung oder Sprachentwicklung hatte; oder wenn sie sich sehr visuell, unstandardisiert oder gestenhaft ausdrückt – also auf eine Weise, die für hörende Dolmetschende schwer zu verstehen oder korrekt zu übertragen ist.
Taube Dolmetschende sind professionelle taube Personen, die zwischen verschiedenen Gebärdensprachen, sprachlichen Nuancen oder zwischen Gebärdensprache und visueller Kommunikation vermitteln.
Der wachsende Bedarf an tauben Dolmetschenden
Mit der zunehmenden Nachfrage nach tauben Dolmetschenden in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern, Gerichten und sozialen Diensten sind sie zu einem wichtigen Instrument geworden, um gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Rechten zu gewährleisten. Sie werden nicht nur in den Medien oder bei öffentlichen Veranstaltungen wie Konferenzen und Mitgliederversammlungen benötigt, sondern auch in sozialen und rechtlichen Kontexten, in denen präzise Kommunikation entscheidend ist. Dennoch gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen Bedarf und Angebot – oft bedingt durch finanzielle Hürden und mangelnde Anerkennung.
Laut einer kleinen Umfrage, die wir mit 50 tauben Dolmetschenden von rund 350 aus ganz Europa durchgeführt haben, arbeiten 62,2 % im Bereich des Community-Dolmetschens – ein Hinweis auf die hohe Nachfrage trotz anhaltender struktureller Herausforderungen.
Taube Dolmetschende gibt es schon seit vielen Jahren. Erst in den letzten Jahrzehnten wurde der Beruf jedoch offiziell anerkannt. Heute werden sie von staatlichen Stellen in unterschiedlichen Kontexten beauftragt. Auf Bundesebene in Deutschland wird beispielsweise bei Pressekonferenzen eine taube dolmetschende Person eingesetzt. Dennoch fehlt weiterhin eine formale Anerkennung oder gesetzliche Verpflichtung, die ihren Einsatz garantiert – was viele taube Menschen in eine benachteiligte Position bringt.
Laut dem NCIEC in den USA verfügen taube Dolmetschende über besondere sprachliche und kulturelle Kompetenzen, die ihre Verdolmetschung für taube Nutzerinnen und Nutzer oft präziser und natürlicher machen. Studien zeigen, dass die Kombination aus tauben und hörenden Dolmetschenden zu einem besseren Verständnis und höherer Genauigkeit führt.
Definition und Entwicklung tauber Dolmetschenden
Taube Dolmetschende unterscheiden sich vom traditionellen gebärdensprachlichen Dolmetschen, bei dem hörende Personen zwischen gesprochener Sprache und Gebärdensprache vermitteln. Taube Dolmetschende übertragen häufig zwischen verschiedenen Gebärdensprachen oder passen Gebärdensprache an das individuelle sprachliche Niveau der nutzenden Person an. Sie verfügen oft über ein tieferes Verständnis sprachlicher Feinheiten, da sie selbst gebärdensprachlich aufgewachsen sind.
Akimov Mikhail, ein russischer tauber Dolmetschender mit Wohnsitz in Italien, erlebte während des Ukraine-Kriegs eine starke Nachfrage – insbesondere bei neu angekommenen Geflüchteten:
„Viele taube Ukrainerinnen und Ukrainer kamen nach Italien. Ich konnte für sie dolmetschen, weil die russische und ukrainische Gebärdensprache fast identisch sind. Eine hörende Person mit nur italienischer Gebärdensprache hätte keine effektive Kommunikation ermöglichen können.“
Laut einer Studie von DIs in Europe (2016), veröffentlicht vom DDL, war das Dolmetschen unter tauben Menschen lange informell: Sie halfen sich in Schulen, am Arbeitsplatz und im Alltag gegenseitig bei der Kommunikation. Erst in den letzten Jahren entwickelte sich daraus ein offiziell anerkannter Beruf mit Zertifizierungen in mehreren Ländern.
Unterschiede im Bereich tauber Dolmetschenden in Europa
Die Struktur des tauben Dolmetschens unterscheidet sich in Europa deutlich. Einige Länder haben formelle Ausbildungsprogramme eingeführt, während in anderen taubes Dolmetschen weiterhin als informelle Unterstützung gilt. Das beeinflusst die Entwicklung und Finanzierung im Community-Bereich. In Ländern wie Deutschland und dem Vereinigten Königreich sind taube Dolmetschende vergleichsweise etabliert – in anderen fehlen Anerkennung und Förderstrukturen.
Jonas Brännvall, ein schwedischer tauber Dolmetschender, schildert:
„Ich hatte einen Einsatz mit einer tauben Person, die meine Verdolmetschung zunächst ablehnte. Meine hörende Kollegin ermutigte sie, es dennoch zu versuchen, da die direkte Kommunikation nicht funktionierte. Am Ende sagte die Person, die Erfahrung sei fantastisch gewesen – viel besser als erwartet.“
Aufgaben und Herausforderungen
Taube Dolmetschende sorgen für reibungslose Kommunikation – sprachlich, kulturell und sozial. Sie arbeiten oft mit hörenden Kolleginnen und Kollegen zusammen, um möglichst passgenaue Verständigung zu ermöglichen.
Die Arbeit kann emotional belastend sein. Mikhail Akimov erzählt: „Es war anfangs schwierig, als Russe für ukrainische Geflüchtete zu dolmetschen. Einige reagierten negativ, fühlten sich aber nach einem Gespräch wohler. Ich arbeite neutral und professionell, aber manchmal brauche ich eine Pause, um die Geschichten vom Krieg zu verarbeiten.“
Jonas Brännvall ergänzt: „Es ist herausfordernd, wenn man die gleichen Frustrationen wie die taube Person teilt – aber die hörende Seite kein Wissen über unsere Community hat.“
Warum sind taube Dolmetschende unverzichtbar?
Eine Analyse zum Thema „Taube Dolmetschende in Europa“ zeigt große Unterschiede in Europa: Dänemark hat 3 taube Dolmetschende pro 1.000 gebärdensprachlich taube Personen, Schweden und Finnland 1,1, Norwegen 2. Slowenien liegt mit 5,7 an der Spitze, Island folgt mit 4.
Am unteren Ende: Schweiz 1,5; Kroatien 1,7; Tschechien und Griechenland 1,0. Portugal und Italien liegen bei 0,1, Russland bei 0,03 pro 1.000 Personen.
Absolut gesehen hat Dänemark rund 15 taube Dolmetschende, Frankreich 45, Deutschland 30, UK 20. Länder wie Belgien, Irland, Polen, Portugal haben etwa 10. In Österreich, Estland, Lettland, den Niederlanden, Norwegen, Russland und Slowenien sind es meist nur 1 bis 5 – was einen sehr ungleichen Zugang zu diesem Angebot zeigt.
Diese Zahlen sind inzwischen fast zehn Jahre alt – neue Daten sind notwendig. In Deutschland stieg die Zahl inzwischen auf etwa 40. Doch die Unterschiede in Struktur und Verfügbarkeit bleiben und haben direkte Auswirkungen auf gesellschaftliche Teilhabe.
Taube Dolmetschende sind entscheidend für Inklusion. Viele Menschen mit unterschiedlichem sprachlichem Hintergrund haben sonst keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung oder Justiz, wenn keine passende Vermittlung möglich ist.
Laut einem Bericht von efsli aus dem Jahr 2024 bleibt die Nachfrage in Community-Bereichen hoch – vor allem in Ländern mit vielen tauben Geflüchteten. Finanzielle Hürden bleiben ein Problem: Da hörende Dolmetschende bereits Kosten verursachen, fehlt oft die Bereitschaft, zusätzlich in taube Dolmetschende zu investieren – selbst wenn sie notwendig sind.
Jonas Brännvall: „In Schweden gibt es mehr ausgebildete taube Dolmetschende als Nachfrage – viele müssen andere Jobs annehmen, weil es zu wenige Aufträge gibt. Behörden erkennen den Bedarf nicht.“
Mikhail Akimov: „In Italien vertraut die Community eher hörenden Personen. Es braucht dringend mehr Aufklärung, warum taube Dolmetschende wichtig sind.“
Carolyn Denmark, eine britische taube Dolmetscherin: „Noch vor ein paar Jahren wurden wir kaum ernst genommen. Jetzt merken viele, wie viel leichter es ist, mit einer tauben dolmetschenden Person zu kommunizieren.“
Ein Weg nach vorn: Mehr Anerkennung für taube Dolmetschende
Trotz der wachsenden Anerkennung von tauben Dolmetschenden besteht weiterhin eine große Forschungslücke zur Wirksamkeit und zu den Besonderheiten des Dolmetschprozesses. Es fehlt noch
Trotz wachsender Anerkennung fehlen Studien zur Wirksamkeit und zu den Besonderheiten tauben Dolmetschens. Es braucht mehr Forschung zu kognitiven, sprachlichen und kulturellen Unterschieden im Vergleich zu hörenden Dolmetschenden. Das würde helfen, das Berufsbild weiter zu stärken.
Jonas Brännvall: „Wir wissen noch viel zu wenig darüber, was im Dolmetschprozess genau passiert – und was ihn bei tauben und hörenden Personen unterscheidet. Das muss erforscht werden.“
Für eine stabile Zukunft des Community-Dolmetschens braucht es mehr Bewusstsein, politische Unterstützung und klare Strukturen. Länder wie Irland zeigen, wie es gehen kann: Dort sind bei bestimmten Einsätzen sowohl taube als auch hörende Dolmetschende verpflichtend.
Nur mit mehr Sichtbarkeit und konkreten Regelungen kann der Beruf nachhaltig gestärkt und Teilhabe für taube Menschen verbessert werden.
Olivia Røntved Egeberg, Teckenbro
Kenny Åkesson, Teckenbro
Benedikt Sequeira Gerardo, manua
Jozef Vahovský, Deafstudio