KI und maschinelle Übersetzung: eine Gefahr für die taube Gemeinschaft?

Am 7. und 8. April 2025 haben sich in Brüssel etwa 30 Teilnehmende getroffen, um über die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die Gebärdensprache und die Barrierefreiheit für taube Menschen zu reden.
Die Veranstaltung „Gebärdensprache im Zeitalter der künstlichen Intelligenz: Welche digitalen Rechte und ethischen Dilemmata gibt es?“ wurde von der EUD (Europäische Gehörlosen Union) organisiert und brachte Forscher, taube Lehrkräfte, Dolmetscher und Fachleute aus dem Bereich zusammen, um die Risiken, Chancen und ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung von KI in diesem Bereich zu bewerten.
https://www.youtube.com/watch?v=ysv2reWFJA4

Von Technologie zu Technologie mit

Die Diskussionen wurden von zwei bekannten tauben Forschern moderiert: Maartje De Meulder (Universität Utrecht, Niederlande) und Robin Angelini (Universität Wien, Österreich). Ihr Fazit ist klar: KI-Technologien werden immer noch größtenteils ohne Rücksicht auf taube Menschen entwickelt, manchmal sogar gegen ihre Interessen.

Sie kritisieren einen hörzentrierten Ansatz, der Tools hervorbringt, die nicht den echten Bedürfnissen und Sprachpraktiken von tauben Gebärdensprachlernern entsprechen. Sie warnen vor der Gefahr einer sprachlichen Unterordnung unter die Technologie: Wenn Tools ohne die taube Gemeinschaft entwickelt werden, neigt die Technologie dazu, eine einzige Norm festzuschreiben, was der Vielfalt und dem Reichtum der Gebärdensprache schadet.

Die beiden Forscher sprachen auch das Konzept des Techno-Solutionismus an – die Überzeugung, dass Technologie alle sozialen Probleme lösen kann. Dieser Ansatz ist gefährlich, wenn er die strukturellen Ursachen von Ungleichheit und die Realitäten von Minderheiten ignoriert. Die EUD hat auf die Gefahr hingewiesen, menschliche Übersetzungen in offiziellen Videos durch Avatare zu ersetzen: Hinter der unmittelbaren Zugänglichkeit geht menschliche, sprachliche und kulturelle Qualität verloren.

Sie betonen aber, dass KI auch ein echter Hebel für Barrierefreiheit sein kann, wenn sie mit und für taube Menschen entwickelt wird, zum Beispiel für die Übersetzung von Websites oder Untertitelung.

Wenn Barrierefreiheit zum Markt wird

Angesichts der hohen Kosten für menschliche Dolmetscher erhalten KI-Technologien zunehmend öffentliche und private Fördermittel. Hier einige Beispiele:

  • Das französische Projekt SignToKids, das von der Nationalen Forschungsagentur (ANR) mit 543.860 € gefördert wird, zielt darauf ab, digitale Ressourcen in LSF für Kinder mit gebärdenden Avataren zu entwickeln.
    Dabei werden Fragen zur sprachlichen Qualität und zur Rolle taube Lehrkräfte aufgeworfen. Das österreichische Projekt SiMAX, das von der EU mit 1.094.360 Euro gefördert wird, entwickelt einen 3D-Avatar, der Texte automatisch in Gebärdensprache übersetzt. Das in Europa geförderte Projekt wird als kostengünstige Alternative zu menschlichen Dolmetschern in öffentlichen Informationsvideos präsentiert.
  • *SignON, ein Projekt, das vom europäischen Programm Horizon 2020 (Förderung von Forschung und Innovation) finanziert wird, wird von Irland koordiniert. Es zielt darauf ab, eine automatische Übersetzungsanwendung zwischen mehreren Gebärdensprachen (LSF, BSL, ISL usw.) und den entsprechenden gesprochenen Sprachen zu entwickeln. Das Projekt ist ehrgeizig, wirft jedoch Zweifel an seiner Durchführbarkeit auf, da Gebärdensprachen visuell, räumlich und stark kulturell verwurzelt sind.

Aber zu welchem Preis für die sprachlichen Rechte taube Menschen? Ohne echte Beteiligung der betroffenen Gemeinschaften besteht die Gefahr, dass die Automatisierung zu standardisierten Lösungen führt, die weit vom tatsächlichen Sprachgebrauch und der Vielfalt der Gebärdensprachen entfernt sind. Dies würde zu einer oberflächlichen Barrierefreiheit führen, die diese Rechte letztlich eher schwächen als stärken könnte.

Die Position der EUD: gleiche Vorsicht für alle Sprachen

Die EUD hat auf eine Ungleichbehandlung bei der Nutzung von KI hingewiesen: Bei gesprochenen Sprachen ist KI als Hilfsmittel für Dolmetscher gedacht (Notizen, Transkription, Terminologiehilfe), bei Gebärdensprachen wird sie oft als Ersatz gesehen.

Dieser Unterschied spiegelt eine Ungleichbehandlung wider: Einerseits wird die Rolle des Menschen geschätzt, andererseits sollen Kosten gesenkt werden. So werden Avatare mit Gebärdensprache vorgeschlagen, um LSF-Dolmetscher zu ersetzen, was zu Lasten der sprachlichen Qualität und der zwischenmenschlichen Dimension der Verdolmetschung geht.

Die EUD wies darauf hin, dass:

  • KI fehlt es noch an der sprachlichen Präzision und kulturellen Sensibilität, um eine genaue Übersetzung in Gebärdensprache zu gewährleisten.
  • Die aktuellen Lösungen sind schlecht kalibriert und können den Zugang zu wichtigen Infos behindern.
  • Die gleiche Vorsicht, die für die gesprochene Sprache gilt, muss auch für die visuelle Sprache gelten.

Die EUD will weiter mit den europäischen Institutionen zusammenarbeiten, um die Entwicklung von KI zu regeln und Barrierefreiheit zu verteidigen, die Gebärdensprachen und ihre Nutzer respektiert.

efsli: zwischen Wachsamkeit und der Entwicklung von Lösungen

Das Europäische Forum der Gebärdensprachdolmetscher (efsli), das Verbände von Gebärdensprachdolmetscherinnen und -dolmetschern aus ganz Europa zusammenbringt, hat seine Empfehlungen zur Entwicklung künstlicher Intelligenz im Bereich der Barrierefreiheit vorgestellt.

Die Organisation betont, wie wichtig es ist, das Recht auf menschliche Dolmetschleistungen zu garantieren, vor allem in sensiblen Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Information. Sie fordert außerdem, technologische Entwicklungen zu unterstützen, indem neue Möglichkeiten für gehörlose Dolmetscherinnen und Dolmetscher geschaffen werden, zum Beispiel in den Bereichen Ethik, Qualität und technologische Vermittlung. Allerdings warnt efsli vor einer Gefahr: dass bestimmte Aufgaben, wie Übersetzungen in Museen oder öffentliche Ankündigungen, auf Kosten von Gehörlosen-Dolmetschern an Avatare übertragen werden könnten.

„Dolmetschen ist nicht nur das Übersetzen von Wörtern. Es geht darum, Welten, Emotionen und kulturelle Bezüge zu verbinden. Das kann kein Algorithmus leisten“, betonte der Vertreter von efsli.

Wie geht es weiter?

Dieses Seminar hat die Debatte nicht beendet, sondern erst eröffnet. Weitere Treffen sind geplant, um diese wichtigen Fragen noch genauer zu untersuchen. Denn eins ist klar: Innovation ist nur dann sinnvoll, wenn sie die Würde und Rechte taube Menschen schützt.
In einer Zeit, in der Algorithmen alle Bereiche des Lebens durchdringen, ist es wichtiger denn je, anders zu gebärden, zu denken und zu gestalten.
Mehr über Gebärdensprache-Avatare erfahrt ihr in unserem Artikel auf der Website von Deaf Journalism Europe: Gebärdensprache-Avatare: Deutschlands Goldrausch, um die Zahl der „Haut“-Dolmetscher zu reduzieren. Darin werden anhand des deutschen Beispiels die Geschichte, die verwendeten Methoden und konkrete Probleme beleuchtet.

 

Geschrieben von Charlotte Berthier und präsentiert von Laura Guernalec von Médiapi